Opfer des Nationalsozialismus: Gedenken aufrechterhalten – Verantwortung leben – Homosexuellenverfolgung weiter aufarbeiten

Der Landtag stellt fest:

Der 27. Januar, der Tag der Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz-Birkenau vor 75 Jahren, ist der bundesweite Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus. Er erinnert an die Gräueltaten eines totalitären, menschenverachtenden Regimes und an jene, die sie erdulden mussten – an Unterdrückung, Verfolgung und Tod von allen, deren Existenz dem nationalsozialistischen Weltbild zuwiderlief.

Das Gedenken an diesem Tag gilt den Opfern des dunkelsten Kapitels der Deutschen Geschichte, das im Holocaust und der Verfolgung, Vertreibung und Ermordung von Millionen von Menschen seinen grausamen Höhepunkt fand.

Ziel des Erinnerns ist es, das Schicksal aller Opfer im Bewusstsein der Menschen wachzuhalten, ohne ein einziges zu relativieren. Jedes Opfer verdient es, dass seines Schicksals gedacht wird. Ihr Leid sei uns eine Mahnung, stets für eine offene, demokratische und vielfältige Gesellschaft einzutreten.

Das Gedenken des Landtags steht im Jahr 2020 erstmals im Zeichen der verfolgten Homosexuellen. Mit der Verschärfung des § 175 des Reichsstrafgesetzbuches vor 85 Jahren wurde die Grundlage der verschärften Homosexuellenverfolgung durch das NS-Regime geschaffen. Homosexuellen drohten bei Auslebung ihrer sexuellen Orientierung Konzentrationshaft und Kastration. Die Verfolgung wirkte über 1945 hinaus: Der Paragraph fand Eingang in das Strafrecht der jungen Bundesrepublik und der DDR und wurde erst im Jahr 1994 ersatzlos gestrichen.

Die erst späte und noch andauernde Aufarbeitung des Schicksals von Homosexuellen als Opfer des Nationalsozialismus führt deutlich vor Augen: Gedenkarbeit ist nie abgeschlossen, sie ist ein Prozess des stetigen Vergegenwärtigens – der Perspektive der Opfer, der Täter und der eigenen Verantwortung.

Noch immer sind Lesben, Schwule, Bisexuelle, Transidente und Intersexuelle von Diskriminierung und Gewalt betroffen. Vor dem Hintergrund unserer Geschichte sind alle Demokratinnen und Demokraten gefordert, sich gegen diese und jede andere gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit und für die rechtliche Gleichstellung und Akzeptanzarbeit einzusetzen.

Dass sich Kräfte in diesem Land dieser Verantwortung verweigern, indem sie kollektives Verdrängen und Relativieren ganzer Jahrzehnte befördern, führt uns die Bedeutung von Aufarbeitung und Gedenken vor Augen. In Zeiten, in denen Antisemitismus, Rassismus und Ausgrenzung anderer Gruppen sich auf erschreckende Weise Bahn brechen, gilt mehr denn je: Die Opfer des Nationalsozialismus brauchen Fürsprache. Wir brauchen eine Gesellschaft, die sich dieser Verantwortung nicht verschließt, sondern sie lebt.

Der Landtag begrüßt:

– das langjährige Engagement des Landtags zum Gedenktag für die Opfer des Nationalsozialismus und dessen wertvollen Beitrag zur geschichtlichen Aufarbeitung und Gedenkarbeit;

– das entschlossene und langjährige Engagement der Landesregierung zur Aufarbeitung der Zeit des Nationalsozialismus in der Gedenk- und Bildungsarbeit;

– die ehrenamtliche Arbeit der Landesarbeitsgemeinschaft der Gedenkstätten und Erinnerungsinitiativen zur NS-Zeit in Rheinland-Pfalz (LAG) zur Stärkung der Gedenkarbeit;

– die Gründung der deutschlandweit einmaligen Forschungs- und Dokumentationsstelle „Strukturen und Erinnerung. Angewandte Geschichtsforschung und digitale Lehre“ (SEAL) als Kooperation der Landeszentrale für politische Bildung Rheinland-Pfalz (LpB) und der Universität Trier;

– das Forschungsprojekt zur Aufarbeitung der strafrechtlichen Verfolgung, Diskriminierung und Rehabilitierung homosexueller Menschen in Rheinland- Pfalz durch die Landesregierung als bundesweit erstes Flächenland und die dazugehörige erfolgreiche Ausstellung;

– die Ernennung einer Landesbeauftragten für gleichgeschlechtliche Lebensweisen und Geschlechtsidentität – Lesben, Schwule, Bisexuelle, Transidente und Intersexuelle;

– die Erstellung, Umsetzung und Fortschreibung des Landesaktionsplans „Rheinland- Pfalz unterm Regenbogen“.

Der Landtag fordert die Landesregierung auf:

– sich weiterhin engagiert für die Bildungs- und Gedenkarbeit und Aufarbeitung der NS-Zeit unter der Berücksichtigung aller Opfergruppen einzusetzen;

– den durch das Forschungsprojekt zur Aufarbeitung der strafrechtlichen Verfolgung, Diskriminierung und Rehabilitierung homosexueller Menschen in Rheinland- Pfalz begonnenen Aufarbeitungsprozess unter Berücksichtigung regionalgeschichtlicher Aspekte fortzuführen;

– weiter auf vollständige rechtliche Gleichstellung und gesellschaftliche Akzeptanz queerer Lebensweisen hinzuwirken;

– sich weiter in ihrem politischen Handeln für eine offene und akzeptierende Gesellschaft einzusetzen.